Interview Anne Spiegel: „Lage in Afghanistan hat sich verschlechtert“

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Zeitungsartikel vom 16.01.2017 der Allgemeinen Zeitung.

„Lage in Afghanistan hat sich verschlechtert“

MAINZ – Rheinland-Pfalz wird sich im Bundesrat enthalten, wenn dieser darüber abstimmt, ob Marokko, Algerien und Tunesien zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden sollen. Das hat Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) im Gespräch mit dieser Zeitung bekräftigt. Das Attentat von Berlin führt sie auch auf das Versagen von Behörden zurück.

Frau Spiegel, bisher haben sich die Grünen dagegen ausgesprochen, Marokko, Algerien und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Ministerpräsidentin Malu Dreyer sagt nun, es sei offen, wie sich Rheinland-Pfalz im Bundesrat zu dem Thema Maghreb-Staaten verhält. Hat sich die Position der Grünen geändert?

An unserer bisherigen Position hat sich nichts geändert. Deshalb greift die Regelung, die der Koalitionsvertrag für solche Fälle vorsieht: Noch war der Antrag nicht im Bundesrat. Aber wenn dies ansteht, greift die Tatsache, dass wir uns als Land enthalten werden.

Nun werden aber die allermeisten Asylanträge von Menschen aus den Maghreb-Staaten abgelehnt. Was spricht also dagegen, diese Länder zu sicheren Herkunftsländern zu erklären?

Weil es die Rückführungen nicht erleichtern würde. Schon jetzt scheitern diese daran, dass Rücknahme-Abkommen fehlen. Wir fordern die Bundesregierung auf, solche Abkommen voranzutreiben, um Rückführungen vollziehen zu können.

Wie sieht es mit Afghanistan aus?

Nun ist die Sicherheitseinschätzung vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen da und meiner Meinung nach ist das Ergebnis überhaupt nicht überraschend: Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich verschlechtert. Wir bleiben daher dabei: Nur Straftäter und Gefährder sollten nach Afghanistan abgeschoben werden – nach einer Einzelfallprüfung.

Von 2015 auf 2016 ist die Zuwanderung massiv zurückgegangen. Das liegt an Faktoren, die Deutschland nur bedingt beeinflussen kann wie der Schließung der „Balkanroute“ oder das Abkommen mit der Türkei. Wäre Rheinland-Pfalz für den Fall gerüstet, dass die Zuwanderung wieder zunimmt?

Als Integrationsministerium sind wir gut vorbereitet – gerade weil es Faktoren gibt, auf die wir keinen Einfluss haben und die dazu führen könnten, dass es zu einem Anstieg der Flüchtlingszahlen kommt. Daher haben wir beim Rückbau der Kapazitäten sehr genau darauf geachtet, in diesem Fall schnell reagieren zu können. Wir halten 6300 Plätze in sechs Erstaufnahmeeinrichtungen vor. Derzeit sind 2200 Plätze belegt. Wobei wir im Notfall weitere Plätze reaktivieren könnten.

Gibt es Untersuchungen, mit welchem Erfolg die Integration verläuft?

Es läuft generell sehr gut. Das ist vor allem einem hervorragenden Engagement der Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen zu verdanken, das nach wie vor sehr hoch ist. Teilweise haben sich dabei hoch professionelle Strukturen entwickelt.

Wie sehen die Zahlen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt aus?

Flüchtlinge sind eine extrem heterogene Gruppe: Es gibt hochqualifizierte Menschen, bei anderen müssen wir mit umfangreicher Weiterqualifizierung ansetzen. Ein Drittel der Menschen sind unter 18 Jahre alt, eine weitere große Gruppe ist zwischen 18 und 25 Jahre alt – viele sind hoch motiviert und die Menschen haben einen hohen Willen, die Sprache zu lernen. Wir stellen jetzt die Weichen, damit wir in einigen Jahren die Fachkräfte haben, die wir brauchen.

Zwischen Sommer 2015 und Frühjahr 2016 gab es eine Phase, in der die Behörden nicht nachkamen, die Daten von Einreisenden zu erfassen. Sind die Behörden mittlerweile damit nachgekommen?

Ich bin froh, dass wir das für Rheinland-Pfalz geschafft haben. Die Aufstockung beim Bundesamt wird hoffentlich dazu führen, dass es nie wieder zu einer solchen Situation kommt. Wenn man sich den Fall Amri ansieht, dann war das auch ein Behördenversagen. Deswegen brauchen wir eine genaue Datenerfassung und den verbesserten Austausch dieser Daten unter allen beteiligten Behörden.

Könnte der genetische Fingerabdruck helfen, falsche Identitäten auszuschließen?

Dass der Daten- und Informationsaustausch auf europäischer Ebene verbessert werden muss, ist völlig klar. Welche unterschiedlichen Daten davon betroffen sind, wird derzeit geprüft. Da muss man schauen, was vorgeschlagen wird.

Verstehen Sie, wenn Abschiebehaft für Gefährder gefordert wird?

Nur eine kleine Zahl der Gefährder sind Ausreisepflichtige – rund zehn Prozent. Für die anderen 90 Prozent lässt sich die Abschiebehaft daher nicht anwenden. Wir brauchen eine Regelung, die für alle greift. Gefährder, die eine Straftat begangen haben, gehören indes in Haft. Im Umgang mit Gefährdern sind in erster Linie unsere Sicherheitsbehörden gefordert. Wir brauchen eine effektive Beobachtung von Gefährdern und einen verbesserten Daten und Informationsaustausch zwischen allen Behörden und allen politischen Ebenen.

Das Interview führte Mario Thurnes.
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